Oldendorf


Der letzte Akt und das Schicksal der Schattenspieler

Oldendorf. Da ist dieses kleine Haus, auf einem Hügel, vor dem Ortschild von Oldendorf, in der Swinmark, bei Schnega. Die mickrige Ortsverbindungsstraße mit Sommerweg führt bergab ins Dorf, bergauf, so scheint es, in die Außenwelt. Vor dem Haus sitzt Babett Schwaderer und wartet auf den Besuch, der sich trotz Corona für diesen Tag, Ende April, angekündigt hat. Noch kann sie dort sitzen, mit den Windrädern im Rücken und dem Schuppen zur Rechten, doch die Zeit läuft unaufhaltbar ab.

Schwaderer ist es gewohnt, Gäste zu empfangen. Zur Zeit der Kulturellen Landpartie im Wendland wird ihr Haus zum Wunderpunkt, das Sommeratelier zum Ausstellungsraum. Es ist Leben in der Bude; oft bis spät in die Nacht.

Nicht zuletzt wegen Anna Fabuli. Die quirlige Hamburgerin ist wie die Antipode zu ihrer Freundin Babett. Beide Frauen sind Künstlerinnen: Theater und Malerei, beide Frauen haben sich in ihren Nischen eingerichtet. Schwaderer malt in Öl und Acryl, engagiert sich in örtlichen Künstler*innengruppen, Fabuli zieht mit ihrem Schattentheater von Hamburg aus um die Welt.

Dieser Frühling zeugt von Abschied – auch ohne Corona.

Die Kulturelle Landpartie 2020 wurde Mitte März abgesagt. Einen Tag zuvor entschied sich der Gouvaneur Andrew Cuomo NewYork runtergefahren. Die Seuche hatte zu diesem Zeitpunkt bereits zehntausende Menschen in Südeuropa getötet.

Plötzlich rückt die Welt ganz dicht an das Geschehen in Oldendorf in der Swinmark heran. Es ist bedrückend und es macht Angst.

Schwaderer malt Akte, meist in kräftigen Farben mit betonten Strichen und schafft Skulpturen – vorzugsweise aus Ton und mit Ecken und Kanten. Seit 1999 arbeitet sie von Oldendorf aus.

Nicht mehr lange. Der Mietvertrag für das Haus läuft aus, Schwaderer wird ihren Hügel im Dezember verlassen und weiterziehen – wohin steht noch nicht fest. Dass sie ihren Hof vermissen wird, ist sicher.

Eigentlich wollte Schwaderer Ihre Freunde, Gäste und Kunden ab Himmelfahrt zu einem großen Abschiedsfest einladen. Oldendorf hätte in diesem Jahr das letzte Mal einen eigenen Wunderpunkt gehabt.

Es ist ihr anzumerken, wie sehr es sie im Sinne des Wortes betrübt, dieser Gelegenheit des Abschiednehmens beraubt zu sein.

Anna Fabuli und Babett Schwaderer telefonieren sich Trost und Inspiration zu. Stundenlang können sie miteinander sprechen. Das sei nicht neu, aber dieser Zwang sich nicht sehen zu dürfen, belaste trotz der aufmunternden Worte der jeweils Anderen. Die Malerin und die Schattenspielerin wirken auf die Städter wie Wesen aus einer anderen Welt. Sie wissen und sie reflektieren das durchaus. Schwaderer nennt das Lebenswirklichkeiten. Sie sind sich dieser Distanz von Lebenswirklichkeiten bewusst.

Fabuli schneidet derweil Monster aus Tonpapier, druckt aus Linoleum, filmt ihre Aufführungen des Schattentheaters, um sie dann doch nicht ohne Honorar ins Internet stellen. Und während sich ihre Gedanken im Wortfluss überschlagen, ziehen die Wolken über das verwaiste Oldendorfer Atelier.

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